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Reisen

Einfach ausbrechen: Der Traum vom Weltenbummler

Einfach ausbrechen, den Alltag hinter sich lassen und an einen Ort fliehen, der fernab von allem liegt, was einen Tag für Tag gefangen nimmt. Die Flucht vor der Verantwortung, der Arbeit, der Schule, dem Studium. Immer mehr Jugendliche ergreifen die Chance zwischen Abitur und Uni hinaus in die Welt zu ziehen. Welche Gefühle hinter dieser Entscheidung stehen, warum die Zahlen der Weltenbummler von Jahr zu Jahr ansteigen – eine An(n)alyse. 

 

„Noch so’n paar Tage mehr, man ich schwör, dann platzt mir der Kopf

Immer nur funktionieren nach Regeln und Listen

Will in Mitten der Schnappschüsse mal das Leben erwischen

Und bin weg, weit weg, da wo dir Fehler verzeihbar sind

An den Ort, wo wir mit 16 dachten, wo wir mit 30 sind

[…] Ich bin auf und Davon“

 

„Auf und Davon“ heißt der Titel aus dem dieses Zitat stammt. Künstler Casper rappt vom Ausbrechen, davon den Alltag hinter sich zu lassen und einfach irgendwohin zu fahren – einfach weg von allem und dem Alltag entfliehen. Die Musik klingt nicht wie Sehnsucht nach Ruhe und innerem Frieden – nicht im ersten Moment. Zunächst ist da eine wahnsinnige Energie, die sich vor allem von negativen Gefühlen zu nähren scheint: Wut, Angst, Hilflosigkeit. Es sind Gefühle, denen Casper entkommen will, sei es in „Bielefeld“ oder „Saint Tropez“. Es sind auch Gefühle, die ihn antreiben, die ihn vorwärtstreiben. Es ist eine Energie, die man beim Hören spürt. Eine Energie, die sich insbesondere beim Refrain entlädt:

 

Endlich Laufen lernen

„Endlich angefangen aufzuhören

Und heute bin ich aufgewacht,

Augen aufgemacht,

Sonnenstrahlen im Gesicht,

Halte die Welt an und bin auf und davon“

 

„Endlich“ – Das Wort verleiht dem Ganzen den Klang nach einer Erlösung.

Es geht in diesem Artikel nicht um den Künstler Casper, es geht auch nicht um seine Texte oder seine Musik. Vielmehr beschäftigt mich, mit welchem Thema sich Casper in dem Song auseinandersetzt. Es geht um Flucht, aber auch Sehnsucht. Es geht um die Flucht aus dem Alltag, der einen Tag für Tag an den Füßen packt und abwärtszieht, ein Hundeleben, aus dem es scheinbar keinen Ausweg gibt. Und dann ist da die Sehnsucht, dem zu entkommen – an einem Ort, der Sicherheit bietet, an dem Fehler verzeihbar sind und der im Kontrast steht zum tristen Alltagsleben.

Kontrast. Das kann auch das andere Extrem bedeuten. Statt Sicherheit und Langeweile, wünscht sich Casper in seiner aktuellen Single „Im Ascheregen“:

 

„Sofort los, sorglos, ohne groß‘ Fokus Richtung Zukunft fahren

Weg von immer nur leben ohne Riesengefahren“

 

Aber auch hier finden wir wieder das Motiv des Ausbrechens, Weglaufens, der Flucht. Nicht nur Casper beschäftigt sich mit dieser Thematik. Die Liste der Künstler mit Titeln wie „Weit weg“, „Weg für immer“ oder „Einfach nur weg“ reicht von Casper, über Glasperlenspiel, Clueso, Bosse, Johannes Oerding bis hin zu Silbermond (die englischsprachigen Bands mal ausgenommen).

Sie alle bündeln in ihren Texten diesen einen, verhältnismäßig doch so intensiven und stark ausgeprägten Instinkt: die Flucht.

Sie ist fest verankert in unserem Wirbeltiergehirn, wenn auch heute eher ein Relikt aus der Steinzeit, nachdem der Verstand im Laufe der Evolution mehr und mehr die Fähigkeit entwickelt hat, diesem oft lästigen Mechanismus des Weglaufens, einen Riegel vorzuschieben. Anders als Insekten können wir selbst entscheiden, wann wir rennen oder wann wir stehenbleiben.

Und trotzdem ist dieser Drang nach wie vor in uns drin und wenn wir nicht fliehen, sobald unser Körper es für nötig hält, staut sich von Zeit zu Zeit Energie an. Energie, die wir vermutlich zum Rennen bräuchten, die sich in uns nun aber wütend, motzig und ungeduldig Raum verschaffen will.

Das letzte Mal, als ich Weglaufen wollte, weil ich diesen Drang verspürte, war während meiner Abiturphase. Zum einen, weil ich Angst hatte zu versagen und meinen Schnitt nicht zu schaffen, zum anderen, weil ich Angst hatte vor dem, was nach der Schule kommen würde. Studium? Welches? Werde ich alle meine Freunde noch sehen? Was kommt alles auf mich zu? Fragen, auf die ich keine Antwort wusste und ja, insgesamt erschien mir die Zukunft relativ ungewiss. Ich spürte, wie sich in mir das Gefühl anstaute, dem allem – zumindest für eine kurze Zeit – zu entkommen. Davor wegzulaufen, an einen Ort, an dem Fehler passieren dürfen, wo Leistung keine Rolle spielt und an dem eine Flucht jederzeit problemlos möglich ist.

Und dann war da irgendwie noch ein anderes Gefühl, das paradoxerweise in einem starken Kontrast zu dem stand, was ja meine eigentlichen Sorgen zu sein schienen. Es war die Sehnsucht nach der Eigenständigkeit, der Unabhängigkeit – der Gefahr.

Ich wollte raus aus dem Alltag in Deutschland, raus aus dem Land, dessen Sprache ich fließend spreche, in dem sich jedes Problem ganz leicht lösen lässt und wo andere meine Probleme lösen. Ich wollte an Grenzen stoßen, an meine Grenzen und austesten, was ich alleine schaffen kann. Ich wollte Ungewissheit und ein Dahintreiben, das ich in meinem Heimatland so nie hätte haben können. Ein fremdes Land, eine fremde Sprache, eine fremde Kultur, fremde Städte, fremde Menschen und der Reiz, jeden Morgen zu überlegen: „Was mache ich jetzt?“

 

„Was wäre, wenn ich einfach geh

Was, was wäre, wenn ich meine sieben Sachen pack

Und verlasse diese Stadt

Alle meine Zelte breche ich ab, verkaufe was ich hab

Und das Einzige, was bleibt, ist ein Zettel, auf den ich schreib

Ich bin weg“ – Silbermond

 

Wenn der Körper ein gewisses Maß an Energie gesammelt hat, dann kommt der Punkt, an dem der Verstand beginnt nachzugeben. Der Mensch ist eben doch nur das intelligenteste Tier unter Tieren und Tiere haben Instinkte, die sich nicht immer unterdrücken lassen. Für mich heißt das: Ich mache eine Reise nach Australien. Sieben Monate Ungewissheit, Planlosigkeit, Freiheit. Mit mir reisen tausende weitere junge Menschen auf diesen Kontinent – weitere tausend reisen nach Afrika, Asien, Süd- und Nord-Amerika. Die Zahlen derjenigen, die den Entschluss fassen zwischen Abitur und Studium auszubrechen, steigt Jahr für Jahr weiter an. Weil der Druck auf die junge Generation immer größer wird? Weil sie dem nicht standhalten kann oder will? Weil man ihr Angst macht, mit Worten wie „Globalisierung“, „Rente ab 67“ und Neologismen wie der„Arbeitsmarktverjüngung“? Sie lässt sich nicht verheizen, sie lässt sich nicht drängeln. Wir sagen:

 

„Endlich Laufen lernen

Endlich angefangen aufzuhören

Und heute bin ich aufgewacht,

Augen aufgemacht,

Sonnenstrahlen im Gesicht,

Halte die Welt an und bin auf und davon“

 

 

Article Photo by Asaf antman
„McAfee Knob, Virginia.“
Some rights reserved
Quelle: http://www.piqs.de 

Diskussionen

Ein Gedanke zu “Einfach ausbrechen: Der Traum vom Weltenbummler

  1. Ausbrechen, wegrennen, etwas ändern, neu anfangen… das ist nicht nur ein Phänomen der Jugend, nein, dass wollen alle irgendwann.
    Das tolle an der Jugend ist, man kann es machen. Die Verpflichtungen sind noch nicht da. Klar haben wir als Jugendliche auch davon geträumt, aber gemacht haben es wirklich nur Einzelne. Aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis keiner. Ich kenne Aussteiger, einer davon lebt jetzt als Bienenzüchter auf einer kleinen Nebeninsel in Fidschi Inseln ( Inselstaat im Südpazifik nördlich von Neuseeland und östlich von Australien). Die Andere hat ein neues Leben in Australien gefunden, sie wollte auch immer nur weg.
    Gut der Druck ist groß, jetzt mit G8, G9, Abschaffung des Wehrdienstes, ein großer Ansturm auf die Universitäten. Aber wenn das rum ist, dann kommt jetzt die Generation, die zwischen mehreren Arbeitsstellen wählen kann. Wir haben mit 1.200 Bewerbern um einen Ausbildungsplatz gekämpft. Prüfungen ablegen müssen, Gespräche führen. Ich habe 60 Bewerbungen geschrieben und viele Absagen erhalten. Unzählige Tests, Rollenspiele und Gespräche mitgemacht. Die Angst zu versagen, oder die Frage warum wurde ich nicht genommen, war ich so schlecht? Nein, ich hatte einen super Abschluss, davon konnten viele nur träumen. Die Masse macht es. Ja, ich wäre auch gerne weggelaufen. Hätte eine Auszeit gebraucht, aber leider ging das nicht. Manchmal sind eben auch die finanziellen Mittel nicht da, um das zu tun. Ich wünsche allen Jugendlichen, die so etwas machen wollen und können, viele neue Eindrücke und bin gespannt auf die Geschichten und Erlebnisse, die sie zu berichten haben, wenn sie wieder zurück sind.

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    Verfasst von Monika Böhler | 26. August 2013, 08:16

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