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Schule

„Revolution der Schule kann jederzeit ausbrechen“ Reportage zum Bildungsgipfel in Berlin

Wie die letzten Jahre fand vom 30. August – 03. September in der Berliner Urania der sogenannte „Vision Summit“ statt. Es ging um das Thema Bildung, dieses Jahr unter dem Titel „EduAction – Lernkultur Potenzialentfaltung“. Spannende Organisationen, Redner und Programmpunkte eröffneten sich für die 1200 Besucher, zu denen dieses Jahr auch ich gehörte. Welche Erfahrungen ich gemacht habe und was letztlich dabei herausgekommen ist, lest ihr hier. 

Vision_Summit_2013



Freitag abends, sitze ich für gewöhnlich mit Freunden zusammen und genieße das Leben in vollen Zügen. Ich sitze in einer Bar, einem Restaurant, draußen auf einer Bank oder im Kino. Irgendwo, wo junge Erwachsene eben so sitzen. Fernab natürlich von Schule, Uni oder Arbeit, kreisen die Gedanken dann um völlig andere Dinge.

An diesem Freitag Abend, Freitag den 30. August 2013, sitze ich jedoch, anders als sonst, in einer Berliner U-Bahn um an einen Ort zu fahren, wo größtenteils keine Freunde in meinem Alter warten. Ich fahre zum „Vision Summit“ – dem mitunter größten Kongress zum Thema „Bildung“ Deutschlands, während sich meine Freundinnen, mit denen ich am Tag zuvor nach Berlin gefahren bin, zum Shoppen in der Nähe aufmachen und das tun, was junge Erwachsene eben so tun. Tja. Mir fällt ein, dass ich noch einen schwarzen Kajal brauche, aber das muss jetzt eben warten. Es gibt wichtigeres, nämlich das Event, auf das ich mich seit vielen Monate voller Neugier freue. Irgendwie komme ich mir im ersten Moment merkwürdig vor, wie ich so in der Bahn sitze und zu einem „langweiligen“ Kongress fahre, während ich auch in einer Bar sitzen könnte, aber das Gefühl legt sich schnell. An der Urania, die als Veranstaltungsort dient, treffe ich mich schließlich mit Kirsten und Cora. Sie sind beide Lehrerinnen an meiner ehemaligen Schule und aus dem selben Grund hier, wie ich: Sie sind neugierig und sie suchen nach Veränderung. Wir wünschen uns Impulse, Anregungen, konkrete Umsetzungsmöglichkeiten und eine Antwort auf die Frage, die vielen Lesern dieses Blogs wohlbekannt sein dürfte: „Wie kann ich Schule zu einem Ort umgestalten, an dem Lernen optimal möglich ist?“. Werden wir sie finden, die Antwort?

 Gemeinsam mit Florian, der von Haus aus dem Beruf des Vermessungstechnikers nachgeht und der sich nach einem Workshop im Rahmen der Veranstaltung unserer Gruppe angeschlossen hat, machen wir uns auf in den Humboldt-Saal, wo die große Eröffnungsfeier stattfinden soll. Mühsam bahnen wir uns einen Weg durch die Menschenmasse hin zu unseren Sitzplätzen, von denen es zahlreiche gibt, die bis auf einzelne aber alle schon besetzt sind. Ein Wahnsinn, wie viele Menschen gekommen sind, trotz des stolzen Teilnehmerbetrags von 290€. Zwei Stunden lauschen wir den Gedankengängen bekannter Bildungsinnovatoren wie Richard David Precht, Gerald Hüther und Peter Stein. Sie machen ihrem Publikum Mut, reden von der großen „Bildungsrevolution“, der „Transformation des Bildungssystems“, einem „Bildungswandel“. Es sind Begriffe, die alle das Gleiche beschreiben: Den vollständigen Abbau der Schule, wie wir sie kennen und die Implementierung eines völlig neuen Konzepts von Schule – eines Konzepts, das wesentlich gerechter, zeitgemäßer und effektiver sein soll. Die Revolution könne jederzeit ausbrechen. Vielleicht nicht heute, aber schon morgen könne es sein, dass unsere Gesellschaft dieses Theater, wie es in unseren Schulen derzeit stattfinde, nicht mehr hinnähme, so Precht in seiner Rede. Das Publikum applaudiert tosend – ich bekomme eine richtige Gänsehaut, so aufgeladen ist die Atmosphäre im Saal. Auch während der anschließenden Preisverleihungen, schnellt der Applauspegel immer wieder in die Höhe. Es werden Leute und Organisationen vorgestellt und geehrt, die mit ihren Projekten einen großen Beitrag zu einer gerechten Bildung geleistet haben. Es werden Reden gehalten und das Publikum klatscht. Als sich die Veranstaltung für den heutigen Tag schließlich dem Ende neigt, verlasse ich die Urania mit neugewonnenem Mut, einer Prise Begeisterung und mit der Gewissheit, dass gemeinsam mit so vielen Menschen, eine Veränderung zumindest möglich scheint. Dass ich mitunter die einzige „Schülerin“ bin (wenn man es noch so nennen kann), die den Kongress besucht, stört mich von jetzt an überhaupt nicht mehr.

 Die nächsten beiden Tage verbringe ich erneut mit Cora, Kirsten und Florian im großen Gebäude der Urania. Wieder lauschen wir den Vorträgen unterschiedlichster Bildungsexperten, die von ihren Erfolgen berichten, Änderungsmöglichkeiten aufzeigen und uns trotzdem zurück auf den Boden der Tatsachen holen. „Die Bildungswende wird nicht leicht. In dem Wort ‚Leidenschaft’ steckt eben auch das Wort ‚Leid’, also glauben Sie nicht es wird einfach, das zu schaffen. Es ist schwer“, betont eine Rednerin auf der Bühne. Ich schiele zu Kirsten und Cora und suche nach Emotionen in ihren Gesichtern – Enttäuschung? Überraschung?. Aber beide halten ihren Blick weiter konzentriert auf die Bühne gerichtet – ohne jede Regung. Sie wissen bereits, dass es schwer wird und lassen sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Auch ich weiß, dass die Frau recht hat, selbst wenn ich mir wünsche, die Stolpersteine wären weniger hoch. Wie alle im Saal träume ich von einer gerechteren Bildung für Deutschland, von einer Schule, in die Schüler gerne gehen und die sie individuell fördert, damit junge Menschen den Talenten und Interessen nachgehen können, die ihnen wirklich liegen – nicht zuletzt, weil mir selbst das größtenteils verwehrt geblieben ist. Aber schon jetzt stößt jeder von uns, immer wieder auf Widerstand. Unverständnis, Desinteresse, Angst vor Veränderung, Bequemlichkeit sind die Reaktionen der Leute, mit denen wir zu kämpfen haben und die wahnsinnig viel Energie rauben.

 Ein Treffen mit Gleichgesinnten, so wie hier beim „Vision Summit“ ist unsere „Tankstelle“, so beschreibt es ein Teilnehmer treffend. Es sind die Vision, die alle verbindet, die Gespräche und der Austausch untereinander, die neuen Mut geben.

 Nach den Vorträgen schließen sich Workshops an, in denen kleine Gruppen gemeinsam mit erfahrenen Coaches unterschiedlichster Organisationen an Umsetzungsmöglichkeiten arbeiten, die sich schon jetzt im aktuellen Schulbetrieb verwirklichen lassen. Auch ich nehme an zwei Workshops teil und erarbeite in einer Gruppe Ideen, wie sich Kreativität in der Schule fördern lässt und damit einen Beitrag leistet, die Kinder zu „Lebensunternehmern“ auszubilden. In einem Workshop, der sich mit Kunst und Kultur in Schule auseinandersetzt, erfahre ich, wie zwei Organisationen Kinder über Rap, Graffiti oder Mode zum Lernen motivieren.

Überhaupt eröffnen sich über die beiden Tage ständig neue Wege, Schule aktiv zum Besseren zu verändern. Ich lerne unzählige Organisationen kennen, die in hunderten deutschen Schulen bereits wundervolle Erlebnisse ermöglichen. Sei es die Organisation „Rapucation“, die Schüler durch Rap motiviert oder „Eduventis“, die Kindern sogenannte „Heros“ an die Hand geben, die ihnen Ansprechpartner auf Augenhöhe sind und sie über Jahre begleiten um ihre Talente zu fördern. Ich habe Programme kennengelernt, die Schulen schon heute helfen, innovativ in die Zukunft zu gehen und sie dabei unterstützen, ihre Schule zu einem Ort der Gemeinschaft und des Lernens zu machen, so z.B. „Buddy“, „Schule im Aufbruch“ oder „Teach First“ – die Liste ist eigentlich geradezu endlos.

Immer wieder wird mir klar, dass so viel ungenutztes Potenzial verfügbar ist, das Schulen und Schulleiter, Lehrer und Eltern eigentlich nur anzuzapfen bräuchten, wenn nur die Bereitschaft dazu bestünde. Denn leider gibt es, neben den vielen Schulen, die ständig auf der Suche nach Projekten und Unterstützern sind, nach wie vor viel zu viele Schulen, die sich für solche Maßnahmen zu schade sind oder die in ihnen keinen Nutzen sehen. Das ärgert mich.

 Ich bin froh, dass Kirsten und Cora dabei sind, die – ähnlich wie ich – für die Idee einer besseren Schule brennen. Es ist eine idealistische Vorstellung, die in den Köpfen solcher Menschen herumspukt, dennoch lohnt es sich, für sie zu kämpfen. Margret Rasfeld, die Schulleiterin der Vorreiterschule ESBZ in Berlin, beschreibt es folgendermaßen: „Man braucht eine große Idee, die über allem steht. Nur dann kann man mit den kleinen Hindernissen und Rückschlägen umgehen, ohne sich entmutigen zu lassen. Wenn man sich nur kleine Ziele steckt, und diese ständig scheitern, wird der Wille irgendwann versiegen“.

 Der Vision Summit mit dem Titel „EduAction“ 2013 geht zu Ende. Ich sitze im ICE Richtung Frankfurt und schaue aus dem Fenster. Die ganze Zeit denke ich über die Sätze der Redner nach, versuche für mich einen zusammenfassenden Abschluss zu finden und komme doch nicht zur Ruhe. In zwei Tagen geht es für mich für sieben Monate nach Australien und ich lasse den Traum von einer perfekten Schule vorerst in Deutschland zurück. Was mir ein Gefühl der Befriedigung gibt, ist dass Kirsten und Cora morgen in ihre Schule zurückkehren werden, ebenso wie hunderte andere Lehrer, die ebenfalls auf dem Vision Summit waren, und dass sie die Visionen weitertragen werden – voller neuer Energie und dem Willen, etwas zu erreichen.

 Ich glaube an eine Veränderung der Schule. Ich glaube, dass diese Veränderung notwendig ist und  ich vertraue darauf, dass sie sich umsetzen lässt. Der Vision Summit ist für mich als solcher ein Beweis dafür, dass der Wunsch nach der Bildungswende bei so vielen Lehrern, Schülern, Eltern und engagierten Bürgern riesengroß ist. Und trotzdem braucht es mehr Menschen, die sich für dieses Thema begeistern, die Freude daran haben, an einer großen Idee zu arbeiten, sich mit Menschen zusammenzuschließen und einen Teil dazu beizutragen, die Schule zumindest ein Stückchen besser zu machen. Deshalb schicke ich einen Appell hinaus in die Welt, und wenn auch nur in Weltannalysieren: Öffnet Euren Blick für die Fehler dieses Systems und helft mit, nach Lösungen zu suchen – Möglichkeiten zur Partizipation gibt es genug und sei es nur, anderen Menschen davon zu erzählen.

OLYMPUS DIGITAL CAMERA Impulse für Lehrer, Schüler und Eltern:

Hauptanlaufstelle bei Projektideen und der Suche nach Projekten: www.bildungsstifer.de

Schule im Aufbruch: www.schule-im-aufbruch.de

Buddy eV: http://www.buddy-ev.de/home/

Initiative Neues Lernen: http://www.initiative-neues-lernen.de


students
Impulse vom Vision Summit für Schüler und Studenten:

Neben Rednern und Organisationen, die sich für gerechtere Bildung in Deutschland einsetzen, haben sich auch andere Bildungsinnovatoren vorgestellt. Heiße Tipps zum Lernen für Schule und Studium findet ihr hier (kostenlos):

Mathepaucken mal anders: http://www.serlo.org

Lernvideos zu allen möglichen Themen (noch auf Englisch, bald auf Deutsch): http://www.khanacademy.org

Kostenlos online studieren (Originale Vorlesungen von Star-Professoren online miterleben): https://www.iversity.de

Diskussionen

Ein Gedanke zu “„Revolution der Schule kann jederzeit ausbrechen“ Reportage zum Bildungsgipfel in Berlin

  1. Wieder ein toller Beitrag. Ich hoffe auch, dass die Lehrer von dort etwas mitgenommen haben und das im Unterricht an ihrer Schule umsetzen können.

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    Verfasst von Monika Böhler | 4. September 2013, 13:56

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